Klaus Walter Coaching und Supervision

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Traumatisierung und deren Bewältigung

Ein Trauma ist eine extreme Lebenserfahrung, welche die betroffene Person so sehr überfordert, dass ihre gewohnten Bewältigungsstrategien nicht mehr funktionieren. Um zu verstehen, wie es zu der spezifischen Verarbeitung von Erlebten zu einem Trauma kommt, muss man Kenntnisse über das zentrale Nervensystem haben. Die Amygdala Hier werden alle Sinnesreize gefiltert. Die Amygdala trennt dabei überlebenswichtige und unwichtige Sinneseindrücke, sortiert den überlebenswichtigen eine Bedeutung zu, ruft grundlegende Gefühle von Angst oder Wut hervor, legt den Reaktionsmodus von Flucht oder Angriff fest. ie von der Amygdala vorinterpretierten Sinneseindrücke werden an den Hippokampus und die impliziten Gedächtnisse weitergeleitet. Letztere suchen nach passenden Vorerfahrungen, die dann eventuell schon die gleichen Gefühle wie bei diesen Vorerfahrungen auslösen. Der Hippokampus erzeugt aus den Sinneseindrücken eine räumliche Karte der Umgebung, speichert einfache Erinnerungen, Muster und kategorisiert Erfahrungen ähnlich einer Skizze. Implizite Gedächtnisse im Großhirn Für jeden unserer Sinne gibt es mehrere voneinander getrennte implizite Gedächtnisse. Sie speichern sowohl vorinterpretierte Sinneseindrücke aus der Amygdala, als auch kategorisierte Erfahrungen aus dem Hippokampus. Ihre Inhalte sind kategorisch sortiert in der Form „Heisse Herdplatte = Verbrennungsgefahr“ oder „Würstchen = Nahrung = Speicheldrüsen aktivieren“. Die impliziten Gedächtnisse vermitteln in ihren Interpretationen einen automatischen Charakter, entsprechend einem animalischen Erleben, das weitgehend unbewusst abläuft. Die weiteren Reaktionen des Menschen können entweder durch das implizite oder das explizite Gedächtnis des Großhirns kontrolliert werden. Das explizite Gedächtnis ist dabei die bewusste Form der Reaktion. Der Einfluss des Traumas Wenn die Amygdala eine gefährliche Situation feststellt, versetzt sie den Körper in Alarmbereitschaft. Dabei mobilisiert sie seine Energiereserven. Zur schnelleren Reaktion wird die Verbindung zwischen Amygdala und Hippokampus gekappt und die Entscheidungsfindung durch die expliziten Gedächtnisse des Großhirns unterbunden. Die Reaktionen auf die Gefahr werden jetzt fast ausschließlich von den impliziten Gedächtnissen gesteuert. Informationen werden nun weniger vorgefiltert, gelangen uninterpretiert und mit höherer (Bitrate) in die Amygdala und die impliziten Gedächtnisse. Die fieberhaft nach Auswegen suchenden, impliziten Gedächtnisse nehmen jetzt alle Informationen auf, die zu erhalten sind, auch scheinbar nebensächliche Details. Mit dem reflexartigen Agieren wird entweder die Gefahr durch Flucht oder Angriff bewältigt. Wenn beides nicht möglich erscheint, kommt es zum „Einfrieren“ aller Reaktionen. Der Mensch verfällt in eine innere Erstarrung. Die Folge ist eine Fragmentierung der Wahrnehmung des Ereignisses. Das Ereignis wird später nicht mehr zusammenhängend erinnert. Die Informationen werden von den impliziten Gedächtnissen in roher Form verarbeitet, oft nur dort gespeichert. Weil traumatische Erfahrungen vor allem in impliziten Gedächtnissen gespeichert werden, bekommt das Großhirn im Extremfall kaum noch etwas davon mit. Anhaltende Belastungen, wie zum Beispiel chronische Misshandlungen, können darum sogar zu einer dauerhaften „Umverdrahtung“ von Nervenverbindungen führen. Durch moderne Mittel der Hirndiagnostik ist bestätigt, dass der weniger verwendete Hippokampus bei schwer traumatisierten Menschen nachweislich kleiner ist, als bei gesunden. Folgen einer Traumatisierung o Frische Traumatisierung: Benommenheit, Unruhe, Angst, Fluchttendenz, vegetative Symptome wie Herzjagen und Schwitzen. o Gelingt die Bewältigung der Erfahrung nicht, kommt es zur Posttraumatischen Belastungsstörung : anhaltendes Vermeidungsverhalten, allgemeine Übererregung (Hyperarousal), erhöhte Schreckhaftigkeit, Angstzustände, erhöhte Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und Amnesien. Es können sich Erinnerungsfetzen bezogen auf das traumatische Ereignis in Tag- oder Alpträumen aufdrängen. Belastungsreaktionen sind durch Amnesie oft abgekoppelt von dem eigentlichen Auslöseereignis. Das Ausmaß der Symptomatik ist abhängig von der Verwundbarkeit zum Zeitpunkt der Traumatisierung und dem Ausmaß der Belastung. Ein kleines Kind, welches in seiner Ich-Struktur besonders verletzlich ist, kann bei jahrelangem sexuellem Missbrauch katastrophale Schäden erleiden. Das Kind muss sein psychisches Überleben durch Dissoziation sichern. Das traumatische Ereignis ist für seine Psyche so bedrohlich, dass ein inneres Entkommen aus der Situation eventuell nur durch Identitätsspaltung gelingt (DIS). Manchmal werden sogar verschiedene Innenpersonen gebildet, die ein ganzes Leben lang bestehen bleiben können (Multiple Persönlichkeiten). o Eine Anpassungsstörung tritt auf, wenn ein Mensch aus den Folgen stärkerer Belastungen nicht herauskommt und darum die Anpassung an eine neue Situation nicht gelingt. Die Symptome bestehen in Depressivität und Angst, Gefühl der Unzulänglichkeit, Unsicherheit und Unfähigkeit, eingeschränkter Lebenstüchtigkeit im Alltag. Bei Kindern kann Regression eintreten, erkennbar an Enuresis und anderem kleinkindlichem Verhalten. Bei Jugendlichen kann es zu dissozialen Störungen kommen. o Wenn die Belastung anhaltend und extrem ist, besteht die Gefahr einer andauernden Persönlichkeitsänderung. Sie zeigt sich in chronischer Angst, verbunden mit depressiver Verstimmung, Leistungsinsuffizienz und psychosomatischen Beschwerden (Somatisierungsstörungen). Wieviel an unseren Handlungen ist eigener Wille? Die Betrachtung der neurophysiologischen Vorgänge bei extremer Belastung fordern heraus, sich mit der Frage des eigenen Willens auseinanderzusetzen. Die Traumareaktionen sind kaum willentlich zu regulieren. Die reflexhafte Verarbeitung durch die impliziten Gedächtnisse spricht dafür, dass belastete Menschen durch die bei Stress gekappte Verbindung zum Hippocampus und zum bewusst verarbeitenden Großhirn in der freien Willensbildung beeinträchtigt sind. Somit wird Einsicht als Veränderungsgrundlage bei schwereren Störungsbildern zu einem Weg von nicht gerade überzeugender Wirkungskraft. Besonderheiten bei Traumatisierung Die innere Zerrissenheit kann zu sadistisch-quälenden Persönlichkeitsanteilen führen, die entweder gegen sich selbst (selbstverletzendes Verhalten) oder gegen andere gerichtet werden. In der psychoanalytischen Terminologie würde man hier von Wiederholungszwang sprechen. Es ist nachgewiesen, dass Sexualstraftäter, die Kinder missbrauchen, oftmals in ihrer Kindheit selbst sexuellen Übergriffen ausgeliefert waren. Der positive Hintergrund dieses Zwangs ist, dass Menschen sich immer wieder in die Situation begeben, um darin zu einer alternativen Lösung zu finden. Traumatisierte Menschen, die eine postraumatische Belastungsstörung oder eine schwere dissoziative Störung entwickelt haben, sind in Gefahr durch Auslösereize, sogenannte „ Trigger “ an die traumatische Situation erinnert zu werden. Hilfen und Auflösung des Traumas Es ist bei jeder Symptomlage grundsätzlich richtig, Unterstützung anzubieten und Beobachtungen unaufdringlich zum Ausdruck bringen. Aber es ist grundsätzlich falsch, jemandem zum Erzählen oder Erinnern zu drängen. Oberstes Gebot ist der Respekt vor dem anderen und dies kann bedeuten, den vorübergehenden Rückzug zu akzeptieren. Es gibt die „Volksweisheit“ dass ein traumatisierter Mensch ein Erlebnis noch einmal wiede rholen muss, damit sich sein Trauma auflöst. Diese Idee ist falsch. Eine Wiederholung führt meist zu einer Verschlimmerung von Beschwerden. Vielleicht hat diese „Weisheit“ aber einen anderen Hintergrund, nämlich den, sich mit dem Erlebten auseinander zu setzen. Wesentlich: Die traumatisierende Situation muss vorüber sein Dies klingt eigentlich logisch. Wenn man aber genau hinschaut, dann sind bei vielen Menschen, die in engen Beziehungen traumatisiert wurden, diese Situationen noch nicht aufgelöst. „Die Tür zum Menschen geht nach innen auf“. Der Betroffene muss sich selbst in der Lage sehen, sich mit der traumatisierenden Erfahrung auseinanderzusetzen Traumaverarbeitung bedeutet, sich einer enormen Belastung zu stellen. Sie kann darum nicht eingefordert werden, ohne einen weiteren Rückzug oder gar eine Re-Traumatisierung zu riskieren. Wir können als Helfer nur Bedingungen schaffen, in denen sich ein Mensch in der Lage sieht, diesen Schritt zu vollziehen. Hierfür wurde der Begriff „Pädagogik des sicheren Ortes“ gefunden. Frage: Hat Dennis schon einen sicheren Ort gefunden? Erich Fried: Erinnern,das ist vielleicht die qualvollste Artdes Vergessensund vielleicht die freundlichste Artder Linderung dieser Qual. Traumatisierte Menschen können ihre Erlebnisse nicht hinreichend in Worte fassen. Betrachtet man den Weg der Informationsverarbeitung, dann lässt sich dies begreifen. Die Erlebnisse haben ja nicht in hinreichender Form Einlass in das Großhirn gefunden, in dem sich auch das Sprachzentrum befindet. Die Forschung bestätigt, dass traumatisierte Menschen bei Berichten über Erinnerungen eine verringerte Aktivität im Sprachzentrum aufweisen. Wenn wir sagen, dass ein Trauma verarbeitet werden muss, dann meinen wir darum damit, dass sich ein Mensch an das Geschehene ganz bewusst erinnern und es noch einmal in Gedanken durchgehen, es „verwörtern“ muss, bis es für ihn keine Belastung mehr darstellt. Die „Traumaarbeit“ soll das Geschehene in eine sinnvolle Reihenfolge bringen, in eine erzählbare Geschichte. Erinnern bedeutet dabei aber immer, erneut an belastende Gefühle zu geraten. Das Trauma kann andererseits nicht verarbeitet werden, wenn diese Gefühle den Menschen erneut überschwemmen. Es kommt dann vielmehr zu einer Re-Traumatisierung, die die Symptomatik noch verstärken kann. Das Dilemma lässt sich nur auflösen, indem der Traumaarbeit eine Phase der Ressourcenstärkung vorangeht. Aus dieser Stärkung heraus muss der Betroffene selbst die Entscheidung treffen, ob er bereit ist, vorübergehend eine Verschlechterung seiner Befindlichkeit, eine psychische Belastung in Kauf zu nehmen, um das Trauma zu verarbeiten. Und für die Erinnerungsarbeit selbst muss ein Rahmen (setting) hergestellt werden, in dem sich der Mensch sicher fühlen und die Nähe zum Erleben selbst steuern kann. In aller Regel muss die Traumaarbeit darum systematisch durchgeführt werden, also nach den Regeln einer Traumatherapie. Unterstützende Angebote: Schaffen eines sicheren Ortes o Schutz vor weiteren Traumatisierung o Triggerarme Umgebung, Schutz vor Re-Traumatisierung o Rückzugsmöglichkeiten schaffen Ressourcenstärkung: Von der Ohnmacht zur Wirkmacht o Information / Psychoedukation o Allgemeine Lebensfähigkeit stärken, lebenspraktische Fähigkeiten entwickeln o Emotionalen Ausdruck stärken o Soziale Kompetenz stärken o Körperliches Selbsterleben verbessern Bewältigungsangebote Den Haltungen eines chronisch traumatisierten Menschen muss eine pädagogisch-therapeutische Haltung als Auflösung zur Verfügung gestellt werden: Diese Tabelle beschreibt die möglichen Teile der Haltung eines belasteten Menschen und stellt sie der Haltung gegenüber, die ein Helfer aufbringen muss, um die Belastung zu verringern bzw. aufzulösen.
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Der folgende Text gehört zu einem Vortrag mit Powerpointpräsentation. Diesen Vortrag habe ich im Jahre 2016 als Traumaprävention für eine Feuerwehr erarbeitet.
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