Klaus Walter Coaching und Supervision

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Was ist eigentlich Psychotherapie?

Psychotherapie ist eine seltsame Wissenschaft: Sie provoziert Menschen allein schon durch ihre Existenz - manchmal zu Ehrfurcht und manchmal zu heftiger Ablehnung. Es gibt wohl niemanden, der nicht eine (vorgefasste) Meinung (Bewertung) hierzu hat und gleichzeitig über einige Berührungsängste verfügt. Fundiertes Wissen haben andererseits wohl nur wenige. Dieses Wissen zu erwerben grenzt für einen Laien aber auch an Überforderung: Klaus Grawe und seine Mitautoren haben immerhin in ihrem Buch „Psychotherapie im Wandel“ nach sorgfältiger Untersuchung insgesamt 41 Methoden zutage gefördert, die sie Psychotherapie nennen mochten Die Psychotherapie gibt es also eigentlich gar nicht. Vielmehr gibt es etliche Methoden und Konzepte, die mehr oder weniger (manche wohl überhaupt nicht) therapeutisch wirksam sind. Doch damit ist das Maß immer noch nicht voll. Hinzu kommt noch einige hausgemachte Verwirrung durch die Psychotherapeuten selbst: Da gibt es eine Reihe von Standesvertretern psychotherapeutischer Schulen oder Funktionären von Berufsverbänden die sich gegenseitig die Kompetenz streitig macht; nicht etwa aus ernsthaft fachlichen Bedenken, sondern aus rein ökonomischen Interessen. Genaugenommen stehen die meisten therapeutischen Orientierungen aber gar nicht in inhaltlicher Konkurrenz zueinander, denn sie haben gemeinsame Ursprünge oder parallele Entwicklungen, inhaltliche Gemeinsamkeiten und lassen sich gut ergänzen. Einige der therapeutischen Orientierungen entwickeln sogar integrative Ansätze, in die ganz pragmatisch einbezogen wird, was sich als hilfreich und wirksam erweißt. An diesem Punkt angekommen, habe ich akzeptieren müssen, dass ich die „Laokoon-Gruppe der Psychotherapien“ auch nicht „mal eben“ entwirren kann, aber ich möchte immerhin einen Einblicke in Therapiemethoden geben, die ich für wertvoll erachte und hoffe deutlich zu machen, dass Psychotherapie eine wachsende und sich entwickelnde Wissenschaft ist, die noch kein vollkommenes Bild abgegeben kann. Ursprünglich war die Psychotherapie am medizinischen Vorgehen orientiert: Der Therapeut versuchte die „Krankheit“ seines Patienten zu diagnostizieren und legte daraufhin die Behandlung fest. Er allein war kompetent für die Festlegung auf die „Krankheit“, hatte ein Modell für ihre Entstehung und für ihre Bewältigung. Die Therapieforschung beschäftigte sich im Wesentlichen mit der Beschreibung von Krankheitsbildern, versuchte deren Ursachen zu analysieren. Heute existiert ein ganzer Katalog, den die Weltgesundheitsorganisation als sogenannten ICD-Schlüssel herausgibt. Die Forscher dieser therapeutischen Schule arbeiten mit der Introspektion; d.h.: Sie versuchen durch Einfühlen und Denken nachzuvollziehen, wie eine spezielle Entwicklung bzw. Störung entstanden sein könnte. Das Ergebnis wird dann in die Therapie eingebracht, mit dem Versuch, den Patienten zur Einsicht zu bewegen. Dessen Widerstand gegen die Analyse seiner Persönlichkeit (Krankheit) wurde hierdurch zum zentralen Thema. Von Verhaltensforschern wird die Introspektion als unwissenschaftlich kritisiert. Sie gehen davon aus, dass wissenschaftliches Vorgehen immer die Möglichkeit zur objektiven Beobachtung beinhalten muss und darum nur wirklich Beobachtbares untersucht werden könne und das sei eben Verhalten. Mit ihrer Vorstellung fügen sich diese Wissenschaftler nahtlos in das noch vorherrschende universitäre Wissenschaftsmodell ein, nach dem nur sein darf, was messbar ist (to measure is to be). Die Verhaltensforschung wurde Grundlage der Verhaltenstherapie, die die erforschten Zusammenhänge zwischen Verhalten, Belohnung und Bestrafung in ein Behandlungsmodell umwandelte. Der Erfolg der Verhaltenstherapie für eingegrenzte Probleme (z.B. spezielle Ängste, Leistungsstörungen) konnte rasch nachgewiesen werden. Aber auch die Verhaltenstherapie blieb nicht lange ungeschoren. Ihre ausschließliche Festlegung auf Verhalten als Behandlungsgegenstand vernachlässigte die Ganzheitlichkeit des Menschen, der nun einmal sein Sein auch über Gefühle und Verstand gestaltet. Und jedem selbstbewussten Menschen muss die Vorstellung zuwider sein, dass er quasi ohne Eigenwillen den Bedingungen seiner Umwelt unterworfen sein soll (Philosophen nennen dies Determinismus). Verhaltenstherapeuten selbst bemerkten den Mangel und fügten ihrem mathematisch anmutenden Modell eine sogenannte Organismusvariable hinzu und entwickelten einen Zweig kognitiver Verhaltenstherapie (vom Sprachlichen her, ein gewagtes Konstrukt). Kritik an der Verhaltenstherapie kam aber auch aus den Reihen anderer therapeutischer Schulen. Insbesondere Vertreter von humanistischen Therapien kritisierten, dass die Verhaltenstherapie eine Anpassungsbehandlung sei (z.B. an Arbeitgebervorstellungen und Krankenkassenwünsche) und eine emanzipative Entwicklung verhindere. Eine Reihe ehemaliger Psychoanalytiker hatte sich vom Übervater Freud losgesagt und war eigene Wege gegangen. Einige von ihnen entwickelten humanistische Therapien und propagierten die Selbstheilungskräfte, die ein jeder Mensch besitzet und die es in der Therapie zu fördern gelte. Für sie ist der Mensch nicht unterteilbar in Verhalten, Denken und Fühlen, sondern muss als Ganzes betrachtet werden. Auch sehen sie ausschließlich den Klienten als kompetent für seine eigene (Kranken-)Geschichte an. Der Therapeut leistet „lediglich“ Hilfestellung, wenn der Klient seine Probleme erkennen und bearbeiten will. Eine fremdbestimmte Diagnose und Indikationsstellung kommen für sie nicht in Betracht. Eine dieser Therapieformen ist die Gestalttherapie, in der u.a. Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie auf menschliches Erleben generalisiert und auf therapeutisches Arbeiten übertragen wurde. In der Gestalttherapie bedeutet Hilfestellung z.B.: Der Therapeut bietet seinem Klienten Erlebens- Experimente an, mit denen er sich selbst erfahren und Ereignisse aus seiner Vergangenheit nacherleben kann. Des Weiteren unterstützt er mit verschiedenen Mitteln den Verarbeitungsprozess der dabei ans Tageslicht geförderten Probleme. Von je her war die Gestalttherapie integrativ. Dies hat sicherlich auch seine Ursache darin, dass sie in recht großer persönlicher und räumlicher Nähe mit anderen humanistischen Therapieformen entstand und der Austausch unter den Therapeuten üblich war. Problematisch wird angesehen, dass eine Zahl an Gestalttherapeuten Esoterik in die Behandlung einbezieht und darum mindestens für die Behandlung von schizophrenen Störungen ausscheidet. Auch in der Gesprächspsychotherapie wird auf die Selbstheilungskräfte von Menschen gebaut: Menschen beginnen - wenn man ihnen nur konsequent genug signalisiert, dass man Aufmerksamkeit und Wertschätzung für sie hat - sich selbst mehr akzeptieren und Stärke zu schöpfen, um nach Lösungen für Probleme zu suchen. Wer schon einmal in einer Notlage erlebt hat, wie gut ein aufmerksamer und interessierter Zuhörer sein kann, hat einen Eindruck von der Wirksamkeit dieser Methode erhalten. An der Gesprächspsychotherapie wird die Kritik geäußert, dass sie eingeschränkt auf eine einzige Methode und darum weniger effektiv ist. Sie benötigt außerdem Klienten mit guten sprachlichen Fähigkeiten und einer gewissen Persönlichkeitsstabilität, um das kontinuierliche Zurückgeworfen-Sein auf eigene Möglichkeiten zu verkraften. Die Wissenschaften verändern sich zurzeit in ihren Grundwerten: Es wird mehr und mehr nach komplexen Bedingungszusammenhängen statt wie bisher nach einfachen Wenn-Dann-Erklärungen gesucht. Auch das Verständnis von Psychotherapie verändert sich in diese Richtung. Ökologische oder systemische Sichtweisen werden einbezogen (z.B. in der Familientherapie.) Die Interaktion, der Prozess und die ständige gegenseitige Beeinflussung wird als wesentlich angesehen. Eine frühe Methode ist das Psychodrama. Die Idee des Psychodramas ist, dass Probleme, ihre Entstehung und ihr Fortbestand im sozialen Kontext gesehen werden müssen. Aus diesem Grunde bieten Psychodramatherapeuten ihren Klienten an, erlebte problematische Situationen in der Gruppe nachzustellen. Durch Erfahren und Verstehen seiner sozialen Beeinflussung kann der Klient begreifen, warum er ist, wie er ist. Er kann dann im Rollenspiel Alternativen erproben und sich Strategien für sein soziales Handeln erarbeiten. Es gibt Wirksamkeitsnachweise, die erkennen lassen, dass Psychodrama nicht als eine eigene, für sich allein genügende Therapieform aufgeführt werden darf, sondern als Zusatztherapie, als Technik im Rahmen einer breiteren Therapieausbildung genutzt werden sollte. Noch einmal zum neuesten Werk von Klaus Grawe: Er kommt zum Schluss, dass derzeit keine Therapieform alleine genügt und beim derzeitigen Stand der Entwicklung Therapeuten zu favorisieren sind, die sich in verschiedenen Therapieformen gebildet haben und für die Weiterbildung offen sind. Wenn ich mir anschaue, was ich bisher erarbeitet habe, möchte ich sagen, dass mir dann ein Therapeut am liebsten wäre, der sich das theoretische Gerüst der Psychoanalyse angeeignet hat, über die Sichtweise eines Systemikers oder Ökologen verfügt, die Methoden humanistischer Therapieformen (Gestalt- und Gesprächstherapie, sowie Psychodrama) beherrscht und bei speziellem Bedarf auf sein Wissen als Verhaltenstherapeut zurückgreifen kann. Klaus Walter
Es ist erstaunlich, dass diese Frage ganz selten in meinen Seminaren für Pädagogen gestellt wird. Und so kam es denn dazu, dass ich für eine Ortsgruppe des Siedlerbunder erstmals dazu Stellung nehmen musste und diesen Vortrag hielt.
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