Das Wunder meines Lebens Es ist heiß, sehr heiß. Noch gibt es kein Leben und die Tage sind kurz. Wäre diese Erde etwas näher an der Sonne, würde alles Wasser auf ihr verdampfen. Wäre sie kleiner, wäre sie inzwischen völlig erkaltet. Wäre sie größer, würden massive Vulkanausbrüche höheres Leben für immer unmöglich machen. Aber alle Bedingungen passen und der erste Teil des Wunders meines Lebens kann beginnen. Die Welt ist in Aufruhr in dieser Zeit vor etwa 4,5 Milliarden Jahren. Immer wieder schleudern Vulkane ihre giftigen Gase und Gesteinsbrocken in die dünne Atmosphäre, die sich durch unwirkliche Farben auszeichnet. In der Ferne kocht das Ozeanwasser nach dem Einschlag von Asteroiden. Im aufsteigenden Wasserdampf vermengen sich Methan, Ammoniak und Wasserstoff. Blitze schlagen ein und regen das Gemisch zu Reaktionen an, bei denen Aminosäuren entstehen, der Urbaustein alles Lebens. In der folgenden, unendlich langen Zeit bis heute bilden sich im Wasser zuerst Bakterien - winzige Einzeller, die das Sonnenlicht zur Photosynthese brauchten und dabei Sauerstoff erzeugen. Die giftige Gashülle um unseren Planeten wird verdrängt, indem sie sich allmählich mit diesem Sauerstoff anreichert. So entsteht die Atmosphäre, die wir zum Leben brauchen. Warme Tümpel sind dann die Brutstätten immer komplexerer organischer Verbindungen und schließlich von Organismen, aus denen sich erst in den letzten 500 Millionen Jahren tierisches und schließlich menschliches Leben entwickelt. Das menschliche Leben pflanzt sich dann durch die Begegnung eines Mannes und einer Frau fort. Und hier beginnt der zweite Teil des Wunders meines Lebens. Eigentlich, wenn ich allein die Statistik beschäftigen würde, müsste ich nun feststellen, dass es mich gar nicht gibt. Mein Vater war bis zu seinem 60. Lebensjahr ein relativ gesunder Mensch. Die Humanbiologie traut ihm darum zwischen seinem 16 und 56. Lebensjahr etwa 100 Ejakulationen pro Jahr zu. Das sind dann in diesen 40 Jahren insgesamt 4000. In einer seiner Ejakulationen waren mindestens 40 Millionen Spermien enthalten, die ständig nachproduziert wurden. Eine solche Menge ist medizinisch nachgewiesen. Somit produziert mein Vater in dieser Zeit 4.000 x 40.000.000 also insgesamt 160.000.000.000 (160 Milliarden) Spermien. Meine Mutter hatte, wie auch jede andere gesunde Frau bei ihrer Geburt mindestens 1.000.000 (1 Million) Eizellen. Und nun kann ich errechnen, wie groß diese Chance ist, dass sich ausgerechnet jenes Spermium und jene Eizelle trafen, aus der ich entstanden bin. Im günstigsten Fall ist die Möglichkeit, dass genau ich aus diesem Potential geboren wurde 1 zu 160.000.000.000 x 1.000.000 = 160.000.000.000.000.000 (160 Billiarden). Wem dieses Wunder noch nicht reicht, der darf gerne noch einbeziehen, dass diese Rechnung noch fortgesetzt werden kann, über die Wahrscheinlichkeit, dass genau meine beiden Eltern durch meine Großeltern gezeugt wurden und diese wiederum durch meine Urgroßeltern und immer weiter fort, bis in die Ursuppe des Lebens. Es bleibt nur eine einzige Erkenntnis: Das genau ich geboren wurde ist nahezu unmöglich oder eben ein Wunder. Das ist ein Grund, jeden Tag meine Existenz zu feiern, auch wenn mein Bein wackelt oder ich schiele.