Klaus Walter Coaching und Supervision
"Wäre sein Leib eine Kanone, er hätte sein Herz auf ihn geschossen."
- Eine psychoanalytische Betrachtung des arabischen Selbstmordattentäters
Wissenschaftlicher Aufsatz, 2003 LESEPROE
Inhaltsangabe
Einführung
Übersicht
Definition des Untersuchungsgegenstandes
Verhältnis von Aggression und Destruktivität
Aggressionstrieb oder Selbst-Erhaltung
Narzisstische Wut - Genese und Psychodynamik
Frühe Entwicklung des Selbst und enttäuschende Selbstobjekte
Narzisstische Wut als Abwehr
Narzisstische Regulation
Narzisstische Objektbeziehungen
Aggression als Folge mangelnder metaphorischer Synchronisierung
Selbstmord als Ausweg aus der narzisstischen Krise
Der arabische Selbstmordattentäter
Soziokultureller Hintergrund
Der Islam
Persönlichkeit des Selbstmordattentäters
Sozialisation in arabischen Ländern
Lebenssituation in arabischen Krisengebieten
Frühkindlicher Defekt, Abwehr und Kompensation
Mystifizierung und Indoktrination
Ich-Ideal / Über-Ich-System
Realitätskontrolle
Schuldproblematik
Beziehung zwischen Attentäter und Objekt des Attentats
Thesen für eine Lösung
Ableitung aus behandlungstechnischen Konsequenzen
Kulturelle und politische Konsequenzen
Zusammenfassung
Literaturliste
Einführung
Kapitän
Ahab
verleugnet
seine
Sehnsucht
nach
Zuwendung
und
Nähe.
Er
würde
sein
Herz
lieber
verschießen,
als
sich
ihm
zuzuwenden
und
eine
neuerliche
Enttäuschung
zu
riskieren
Er
riskiert
die
eigene
körperliche
Vernichtung,
setzte
sie
vielleicht
sogar
unbewusst
ein,
um
wenigstens
sein
tief
verletztes
und
enttäuschtes
Selbst
auf
einer
grandiosen
Ebene
zu
retten
und
zu
sichern.
Er
versucht
im
vermeintlich
heroischen
Akt
das
narzisstisch
verletzende
Objekt
oder
besser,
das
von
dieser
Projektion
getroffene
Objekt
in
die
Vernichtung zu reißen und sich damit letztlich doch noch mit ihm zu vereinigen.
Bei
den
Vorüberlegungen
für
diese
Arbeit
wurde
mir
deutlich,
dass
die
modernen
Medien
verführen,
Selbstmordattentate
als
spektakuläre
Gegenwartserscheinung
anzusehen.
Das
Fernsehen
sorgt
für
eine
schnelle
weltweite
Verbreitung,
erschüttert
und
fasziniert
gleichermaßen
mit
seiner
Suggestion,
aus
sicherer
Distanz
teilnehmen
zu
können.
Es
fördert
damit
einen
regressiven
Massenprozess,
verführt
zu
Identifikationen
und
Projektionen,
polarisiert
und
spaltet
(Kernberg
2000,
S.
16,
Büttner
2001,
S.
6f).
Diese
Form
der
Destruktivität
ist
aber
im
Grunde
nicht
spektakulär,
weil
sie
sich
in
der
Geschichte
der
Menschheit
wiederholt
–
im
Großen,
wie
im
Kleinen.
Ich
bin
mir
deshalb
sicher,
dass
die
Betonung des Spektakulären auch dazu dient, unsere eigene Anfälligkeit zu verleugnen.
Übersicht
Bei
der
Bearbeitung
meines
Themas
wurde
deutlich,
dass
ich
meine
selbstgestellte
Aufgabe
nicht
umfassend
würde
lösen
können.
Aber
der
eingeschränkte
Umfang
gestattete
mir
in
einem Überblick eine Reihe loser Fäden zu beschreiben, von denen ich glaube, dass es sich lohnt, ihnen weiter nachzugehen.
Ausgehend
von
der
Definition
des
Untersuchungsgegenstandes
diskutiere
ich
Theorien
zu
Aggression
und
Destruktivität,
wobei
ich
mich
kritisch
mit
der
Postulierung
eines
Aggressionstriebes
auseinandersetze
und
ihn
zugunsten
von
Aggressionstheorien
der
Selbsterhaltung
verwerfe,
die
ich
destruktiven
Handlungen
zugrunde
lege.
Darauf
aufbauend
setze
ich
mich
mit
narzisstischer
Wut
auseinander,
diskutiere
ihre
Genese
und
Psychodynamik.
Eine
Verknüpfung
von
Kommunikationstheorie,
intersubjektiven
Ansätzen
und
Narzissmustheorien reisse ich in diesem Zusammenhang lediglich an, obwohl ich einer Weiterentwicklung dieses Konzeptes viel Relevanz zugestehe. Im Weiteren lehne ich mich an
Überlegungen
Henselers
zum
Selbstmord
an,
wobei
ich
auf
seine
Darstellung
der
Suizidhandlung
als
Lösung
einer
narzisstischen
Krise
zurückgreife.
Aufbauend
auf
einer
Betrachtung des arabisch-israelischen Konflikts, Schamis literarischem Bild der arabischen Demütigung und Reuters Darstellung konkreter Hintergründe, Kernbergs Ideen zur
Massenpsychologie,
Büttners
Umsetzung
von
Bindungstheorien
in
Vorstellungen
für
den
Terrorismus
und
Gruens
psychoanalytisch
fundierte
Beschreibungen
von
Extremismusformen
stelle
ich
dann
Ideen
für
den
kulturellen
und
geschichtlichen
Hintergrund
des
westlicharabischen
Konflikts
und
seiner
Auswirkungen
auf
den
Selbstmordterrorismus
vor.
Ich
formuliere
Aussagen
zur
Entwicklung
der
Persönlichkeit
und
zur
Handlung
des
Selbstmordattentäters,
wobei
ich
seine
Integration
in
die
terroristische
Gruppe
und
seine
destruktive
Handlung
als
Stabilisierungsversuche
gegen
seine
chronische
Enttäuschungserwartung,
für
sein
labiles
Selbst
postuliere.
Dabei
will
ich
verdeutlichen,
dass
die
Problematik
der
Selbstmordattentate
nicht
auf
einen
einzelnen
Faktor
reduziert
werden
kann,
sondern
multikausal
gesehen
werden
muss.
Abschließend
versuche
ich
u.a.
aus
behandlungstechnischen
Konsequenzen
die
Thomä
und
Kächele,
Kohut,
Wolf
u.a.
für
narzisstische
Problematiken
vorgeschlagen
haben,
Konzepte
für
Lösungen abzuleiten, mit denen Konflikte zwischen Gruppen und Kulturen vermindert werden können.
Definition des Untersuchungsgegenstandes
Das
Verhalten,
das
meinen
Untersuchungsgegenstand
kennzeichnet,
ist
eine
unmittelbar
auf
das
Objekt,
bzw.
seine
Repräsentanzen
gerichtete
destruktive
Handlung,
bei
der
das
Subjekt
die
eigene
körperliche
Zerstörung
in
Kauf
nimmt
oder
gar
als
Mittel
einsetzt,
das
Objekt
real
oder
narzisstisch
[1]
zu
demütigen
und
zu
verletzen
und
sich
gleichzeitig
–
auf
der
Grundlage
einer
grandiosen
Selbstwahrnehmung
-
in
seinem
Selbst
als
unzerstörbar
fantasiert
[2]
.
Am
konsequentesten
tritt
dieses
Verhalten
in
Selbstmordattentaten
in
Erscheinung und in den Grundformen ist es bereits in der fantasierten Handlung angelegt.
Verhältnis von Aggression und Destruktivität
Destruktivität
ist
eine
spezifische
Form
von
Aggressivität.
Mit
Thomä
und
Kächele
(1996,
S.
155)
unterscheide
ich
dennoch
zwischen
aggressiven
und
destruktiven
Handlungen:
Bei
einem
fließenden
Übergang
ist
eine
destruktive
Handlung
dadurch
bestimmbar,
dass
es
bei
ihr
um
Zerstörung
und
Vernichtung
des
Objektes
geht.
Destruktivität
in
diesem
Sinne
fällt
aus
Waelders
allgemeiner
Aufstellung
der
Manifestationen
von
Aggression
heraus
und
ist
verwandt
oder
sogar
identisch
mit
seiner
essentiellen
Destruktivität
.
Waelder
formuliert eine Ausschlussdefinition...
Essentielle
Destruktivität
besteht
aus
….
„Manifestationen
der
Aggression,
die
nicht
als
reaktiv
auf
Provokationen
angesehen
werden
können,
weil
sie
in
ihrer
Intensität
oder
in
ihrer
Dauer
so
ungeheuer
sind,
daß
es
schwierig
wäre,
sie
sinnvoll
in
ein
Reiz-Reaktions-Schema
einzuordnen;
die
nicht
als
Nebenprodukt
von
Ichaktivitäten
angesehen
werden
können,
weil
sie
weder
Begleiter
augenblicklicher
Ichaktivitäten
sind,
noch
sich
als
Derivate
für
Nebenprodukte
von
Ichaktivitäten
erklären
lassen;
und
schließlich
nicht
als
Teil
sexueller
Triebe
angesehen werden können, da keine sexuelle Lust irgendwelcher Art mit ihnen verbunden zu sein scheint“ (
aus Thomä und Kächele 1966., S. 156).
Kohut
unterscheidet
konkurrierende
Aggression
gegen
Objekte,
die
bei
der
Erlangung
begehrter
Ziele
im
Wege
stehen,
von
narzißtischer
Wut
gegen
Selbstobjekte,
die
das
Selbst
bedrohen
oder
es
beschädigt
haben
(nach
Wolf
1998,
S.
105).
Die
konkurrierende
Aggression
stelle
dabei
eine
normale,
gesunde
Reaktion
dar.
Sie
verschwinde
spontan,
wenn
das
Ziel erreicht sei. Es bleiben keine pathologischen Überreste.
Kohuts
Definition
der
„
narzisstischen
Wut
“
und
Henselers
Auffassung
der
„
ohnmächtigen
Wut
“
weisen
auf
grundlegende
Prinzipien
von
Destruktivität
hin.
Nach
Henseler
ist
die
„
ohnmächtige
Wut
“
die
intensivste
Form
der
Wut,
weil
sich
das
Subjekt
ihr
gegenüber
ohnmächtig
fühlt.
„
Sie
entsteht
aus
Ohnmachtsgefühlen
und
stellt
einen
leidenschaftlichen
–
aber
meist
vergeblichen
Versuch
dar,
die
verlorene
Macht
zurückzugewinnen“
(Henseler
1983,
S.
269).
Kohut
und
Henseler
weisen
beide
darauf
hin,
dass
Menschen
auf
Kränkung
allgemein
mit
Wut
reagieren,
um
davon
die
pathologische
Reaktion
mit
Realitätsverlust
abzugrenzen.
In
der
Erscheinungsform
der
pathologischen
Reaktion
müsse
dann
aber
nicht
unbedingt
ein
„
Akt
des
Wütens
“
gegeben
sein,
sondern
auch
eine
„
kalte
Zerstörungswut
“
sei
möglich,
die
auf
Ich-Struktur
und
entwickelte
Ich-Funktionen
zurückgreifen
könne.
Henseler
unterscheidet
denn
auch
zwischen
einer
„…
blinden,
eruptiven,
diffusen,
planlosen,
primärprozesshaft
ungestalteten
narzisstischen
Wut
(nach
Art
des
Jähzorns)
und
solchen
narzisstischen
Wutausbrüchen,
die
in
tage-,
wochen-,
ja
….
jahrelangen
Rachefeldzügen
übergeleitet
werden,
also
stark
sekundärprozesshaft
gestaltet
sind“
(Henseler
1983,
S.
288).
Wolf
meint,
dass
diese
narzisstische
Wut
nicht
verschwindet,
wenn
das
angreifende
Selbstobjekt
nicht
mehr
vorhanden
ist:
„
Wahrscheinlich
wird
die
unterschwelligen
Animosität
Wochen,
Monate
oder
gar
Jahre
nach
der
Beschämung
an
irgendeinem
Punkt
zu
offener
Feindseligkeit,
sei
es
zu
rasender
Wut
oder
kühl
kalkulierter
Destruktivität,
die
ihre
Befriedigung darin befindet, ein Ersatzobjekt zu opfern, das beleidigend war“
(Wolf 1998, S. 108).
Charakteristisch
an
der
Destruktivität
ist,
dass
die
aggressive
Reaktion
in
einem
Mißverhältnis
zum
Auslöser
steht
und
damit
eine
unbewusste
Steuerung
signalisiert,
die
im
Bereich
der
Pathologie
anzusiedeln
ist.
Henseler
meint
dazu:
„
Bewußt
reagiert
der
narzisstisch
Wütende
auf
eine
bestimmte
Kränkung,
aber
schon
die
Unverhältnismäßigkeit
von
Anlass und Reaktion zwingt zu der Annahme, dass es unbewusst um weit dramatischere Dinge geht
“ (Henseler 1983, S. 272).
Aggressionstrieb oder Selbst-Erhaltung
Freunds
Annahme
eines
Aggressionstriebes
halte
ich
für
indirekt
widerlegt
und
nicht
mehr
relevant
(Dornes
2001,
S.
617).
Es
gab
bereits
früh
viele
Kritiker
dieses
Triebmodells,
das
in
der
Formulierung
eines
Todestriebes
gipfelte.
Dennoch
gab
es
aber
auch
auffällige
Auswirkungen
im
klinischen
Bereich
und
in
den
Äußerungen
sich
gesellschaftlich
zu
Wort
meldender
Analytiker.
Mitscherlich
schrieb
z.B.,
dass
„
das
Gefühl,
der
Möglichkeit
kollektiver,
aggressiver
Äußerungen
beraubt
zu
sein,
…
unbewusst
als
ein
äußerst
bedrohlicher,
schutzloser
Zustand
aufgefasst
(wird,
d.
Verf.)…“
(1969,
S.
104)
und
dass
darum
„Die
Bewusstseinsentwicklung
…
mehr
und
mehr
Kontrolle
über
und
Verzichte
auf
…
archaische
Triebansprüche
(verlangt,
d.
Verf.)
(ebenda,
S.113).
Neben
der
theoretischen
Kritik
sehe
in
einer
intendierten,
missbräuchlichen
Verwendung
dieser
Perspektive
die
Gefahr,
dass
Tür
und
Tor
für
Vorurteile
geöffnet
werden,
wenn
Destruktivität
auf
den
Mangel
an
bewusster
Kontrolle
archaischer
Triebansprüche
reduziert
wird,
die
man
dann
einer
Kultur
oder einer genetischen Abkunft, z.B. der arabischen Mentalität unterstellen kann.
Folgt
man
Bernfelds
und
Waelders
Einschätzung,
dann
gab
es
einen
plausiblen
motivationalen
Hintergrund
für
den
Einfluss
der
Aggressionstriebtheorie.
Waelder
meint:
„…Klassifizierungen
wie
´erotisch´
oder
´destruktiv´
konnten
direkt
auf
das
Beobachtungsmaterial
angewandt
werden,
ohne
jede
vorausgehende
analytische
Destillier-
und
Raffineriearbeit….“
(zitiert
aus
Thomä
und
Kächele.
1996,
S.
154).
Beide
Autoren
diagnostizieren
damit
eine
oberflächliche
Betrachtungsweise,
legen
vielleicht
sogar
eine
moralisierende
oder
wertende
Verwendung
der
Begriffe
nahe,
eine
bewusst
oder
unbewusst
spaltende
Unterteilung
des
Menschen
in
„
beherrscht
“
und
„
unbeherrscht
“,
bzw.
„
gut
“
und „
böse
“, je nachdem wie gut er seinen „
unzivilisierten
“ Aggressionstrieb kontrollierte.
Waelder
(ebenda)
verdeutlicht,
dass
aggressive
und
destruktive
Phänomene
bereits
anhand
älterer
Theorien
zu
Sexual-
und
den
Selbsterhaltungstrieben
bzw.
zu
Aktivitäten
des
Ich
gut
erklärt
werden
können.
Die
Annahme
eines
Todestriebes
sei
darum
verzichtbar.
Thomä
und
Kächele
führen
Arbeiten
von
Stone,
Anna
Freud,
Gillespie,
Rochlin
und
Basch
an,
um
zu
zeigen,
dass
„...
gerade
der
bösartigen
menschlichen
Destruktivität
das
mangelt,
womit
üblicherweise
ein
Trieb,
beispielsweise
Sexualität
und
Hunger,
in
und
außerhalb
der
Psychoanalyse gekennzeichnet wird
.“ Sie benennen mit Bezug auf Anna Freud das Fehlen der
Merkmale eines Triebes, wie das Organ, die Quelle, die spezielle Energie und das Objekt. Mit Kunz stellen sie fest, daß Aggression auch keinem Rhythmus von Spannung und
Entspannung,
Unruhe
und
Ruhe,
Mangel
und
Erfüllung
folgt.
Gerade
die
ungeheuere
Wirksamkeit,
die
ständige
Sprungbereitschaft
von
Aggressivität
und
Destruktivität
unterstreiche
ihre
reaktive
Natur.
Und
die
Autoren
führen
mit
dem
Exempel
der
Destruktivität
Hitlers
an:
„
Die
menschliche
Aggressivität
geht
in
ihren
destruktiven
Zielen
der
Vernichtung
des
Mitmenschen
und
ganzer
Kollektive
über
alles
hinaus,
was
biologisch
erklärt
werden
könnte.
Es
kommt
wohl
auch
niemand
in
den
Sinn,
diese
Form
der
Aggressivität
als
das
sogenannte
Böse
zu
verharmlosen“
[3]
.
Die
Autoren
kommen
zu
dem
Schluss,
dass
die
Befriedigung
aggressiv-destruktiver
Impulse
der
Wiederherstellung
des
beschädigten
Selbstwertgefühls
diene (Thomä und Kächele 1996 S. 158f).
Thomä
und
Kächele
beschreiben
die
Selbsterhaltung
als
biologisches
Regulationsprinzip,
das
von
außen
und
innen
gestört
werden
kann.
Reflektorische
und
orale
Bemächtigung
des
Objektes
ließen
sich
ebenso
der
Selbsterhaltung
zuschreiben,
wie
das
ausgeklügeltste,
wahnhafte
System
der
Destruktion
im
Dienste
grandioser
Ideen.
Orale
und
sexuelle
Befriedigung
erschöpften
sich,
aber
in
diesem
Sinne
instrumentalisierte
Aggression
sei
allgegenwärtig.
Sie
stehe
im
Dienste
einer
Selbsterhaltung,
die
vorwiegend
durch
seelische
Inhalte
bestimmt
wird.
Die
alte
Einteilung
Freuds
in
der
Aggression
zum
Ich-Trieb
(Selbsterhaltungstrieb)
gehört
und
die
Bemächtigung
des
Objektes
zum
Selbsterhalt
werde
damit
immens
erweitert
und
erhalte
einen
psychosozialen
Bedeutungsinhalt.
Destruktivität
könne
auf
diesem
Hintergrund
als
ein
Ausdruck
der
Selbsterhaltung
angesehen
werden
(ebenda S. 163).
Kernberg
versucht
die
Theorie
des
Todestriebes
zu
retten,
indem
er
ihn
aus
„
heftigen
primitiven
Affekterlebnissen
“
ausgelöst
von
Objekten
ableitet.
Kernberg:
„
Alle
diese
heftigen
primitiven
Affekterlebnisse
werden
als
affektive
Erinnerungen
gespeichert,
in
die
schrittweise
die
einander
zugehörigen
Spitzenaffekte
integriert
werden,
so
dass
schließlich
zwei
voneinander
unabhängige
Welten
nebeneinander
aufgebaut
werden
“
.
Damit
würde
die
Psychobiologie
der
Affekte
in
intrapsychische
Strukturen
überführt
werden
(Kernberg
2000,
S.
9).
Kernberg
beschreibt
damit
aber
keine
Triebstruktur
im
eigentlichen
Sinne,
sondern
die
polarisierende
Verarbeitung
von
frühem
Erleben
unterschiedlicher
Affekte.
Er
betont
die
Bedeutung
des
Objektes
bei
der
Entstehung
dieser
Affekte
und
schildert
das
Subjekt
damit
reaktiv.
Die
Organisation
unseres
Objekterlebens
in
dualen
Mustern
im
Rahmen
eines
Entwicklungsprozesses
ist
aber
etwas
ganz
Anderes
als
ein
triebhaftes
Geschehen.
Sie
folgt
vielmehr
einem
grundlegenden
Organisationsprinzip,
das
sich
in
den
verschiedensten Bereichen unserer Wahrnehmung wiederfindet.
Von Bedeutung ist noch, dass menschliche Destruktivität auf die Fähigkeit zur
Symbolisierung
zurückgreifen
kann.
Damit
können
sich
Menschen
und
Menschengruppen
voneinander
abgrenzen,
Kommunikationsbarrieren
errichten
und
spezifisch
menschlichen
Identifizierungsprozessen
folgen.
Daraus
entsteht
das
typische
Merkmal
von
Destruktivität,
mit
dem
der
Andere
diskriminiert
und
zum
Unmenschen
erklärt
wird
[4]
.
Was
der
menschlichen
Destruktivität
ihre
Bösartigkeit
verleiht
und
unerschöpflich
macht,
sind
diese
spezifischen
menschlichen
Identifizierungsprozesse,
ist
die
Bindung
an
bewusste
und
unbewusste
Fantasiesysteme.
Das
erklärt
z.B.,
warum
bei
psychopathologischen
Grenzfällen
banal
erscheinende
Kränkungen
unbewusste
Phantasien
in
Gang
setzen,
diese als schwere Bedrohung erscheinen lassen und destruktive Prozesse zur Folge haben.
Narzisstische Wut - Genese und Psychodynamik
„Ich würde die Sonne zerschlagen, hätte sie mir ein Leides getan“
Kapitän Ahab in Melvilles Moby Dick
Kohut
übernimmt
den
von
Alexander
[5]
eingeführten
Begriff
der
narzisstischen
Wut
und
sieht
sie
neben
dem
schamerfüllten
Rückzug
als
eine
von
zwei
grundlegenden
Reaktionsformen
auf
narzisstische
Kränkung.
In
der
pathologischen
Erscheinung
sieht
er
narzisstische
Wut
als
Ausdruck
der
Enttäuschung
eines
sich
grandios
erlebenden
Menschen
gegenüber
dem
Versagen
eines
narzisstischen
bzw.
Selbstobjektes
(Kohut
1973,
S.
540ff).
Wolf,
der
sich
auf
den
Artikel
Kohuts
bezieht,
führt
weiter
aus:
“Die
wirkliche
Gefahr
entsteht,
wenn
überhaupt
keine
Selbstbehauptung
möglich
ist,
wenn
das
Selbst
sich
vollkommen
hilflos,
irritiert
und
gekränkt
fühlt,
das
heißt
gelähmt,
während
es
gleichzeitig
im
höchsten
Maße
aufgewühlt
ist
und
damit
in
tödlicher
Gefahr,
seine
Integrität
zu
verlieren.
Ein
solcher
Selbstzustand
ist
unerträglich
und
muß
geändert
werden.
Das
beleidigende
Selbstobjekt
oder
das
vollständig
beschämte
Selbst
muß
zum
Verschwinden
gebracht
werden,
notfalls
auch
mit
Gewalt,
und
wenn
die
ganze
Welt
dabei
in
Flammen
aufgeht“
(Wolf
1998,
S.
107).
Da
eine
narzisstische
Kränkung
in
jedem
Menschen
emotionale
Reaktionen
hervorruft,
stellt
sich
die
Frage
nach
dem
genetischen
Hintergrund
und
der
Psychodynamik
der
pathologischen Reaktion, wie sie Wolf so plastisch beschreibt.
Frühe Entwicklung des Selbst und enttäuschende Selbstobjekte
Die
Beschreibung
Wolfs
lässt
vermuten,
dass
eine
sehr
tiefe
Verletzung
zugrunde
liegen
muss,
mit
kaum
zu
bewältigenden
und
zu
kontrollierenden
Affekten,
wie
sie
nur
bei
schwerer
Traumatisierung
bzw.
bei
der
Disponierung
in
einer
frühen
Entwicklungsphase
vorstellbar
sind.
Mit
der
Betrachtung
der
frühen
Entwicklungsphase
des
Menschen
stößt
man auf die Kontroverse zwischen Säuglingsforschung und psychoanalytischen Theorien.
Dahl
macht
deutlich,
dass
die
Ergebnisse
der
beobachtenden
Säuglingsforschung
und
die
Annahmen
des
subjektiven
Erlebens,
wie
sie
psychoanalytische
Theorien
beschreiben,
nicht
als
Widerspruch
gesehen
werden
müssen.
Er
stellt
fest:
„
Empirische
Daten
können
uns
allenfalls
zeigen,
ab
wann
das
Baby
in
der
Lage
ist,
z.B.
eine
Puppe
zu
be-greifen,
sich
ihr
zuzuwenden
und
mit
ihr
in
vielfacher
Weise
kompetent
umzugehen.
Sie
sagen
nichts
darüber
aus,
was
das
Baby
dabei
erlebt
“
(Dahl
2001,
S.
585).
Er
postuliert,
dass
der
Säugling
nicht
über
eine
Symbolfunktion
verfügt,
wohl
auch
keine
Vorstellungen
hat
und
Erfahrungen
noch
nicht
speichern
kann,
sagt
aber
auch:
„Man
kann
sich
Erfahrungen
von
namenloser
Katastrophen-
oder
Vernichtungsangst
durchaus
vorstellen,
wobei
die
kognitive
Erfahrung
selbst
nicht
gespeichert
wird,
weil
es
sie
nicht
gibt,
aber
heftige
Affekte
als
implizite
oder
nicht-
deklarative
Erinnerungen
zurückbleiben…..
Sie
bleiben
so
lange
namenlos,
also
nur
im
Gedächtnis
fixierte
Affekte,
bis
sie
sich
nachträglich
mit
einer
kognitiven
Erfahrung
verbinden
können“
(ebenda,
S.
588)
.
Dahl
nennt
zwei
Formen
der
präverbalen
Erinnerung
an
prägenitale
Traumatisierungen:
Zum
einen
die
direkte
Traumafolge,
bei
der
der
Affekt
sich
in
der
bleibenden
Veränderung
am
Körper
symbolisiert
und
vermutlich
auch
mit
Fantasien
verbunden
ist
(z.B.
in
Erwartung
von
etwas
Schrecklichem)
und
zum
anderen
die
nachträgliche Verknüpfung in der ödipalen Entwicklung, als Determinierung der
Krankheitssymptome.
Thomä
und
Kächele
nennen
dies
eine
„
retrospektive
Zuschreibung
“.
In
der
Erwiderung
auf
Dahl
stellt
sich
Altmeyer
der
Vorstellung
eines
quasi
autistischen
Erlebenszustandes
eines
primären
Narzissmus
ablehnend
gegenüber.
Aus
seiner
intersubjektiven
Perspektive
erkennt
er,
dass
bereits
Freud
die
„
primärnarzisstische
Fiktion
“
(Altmeyer
2002,
S.
621)
an
die
berühmte
umweltbezogene
Bedingung
geknüpft
habe,
weil
er
die
Mutterpflege
berücksichtige.
Altmeyer
nennt
dies
eine
„
unbewusste
Implikation
des
Objekts
“,
mit
der
der
primäre
Narzissmus
dann
einer
selbstverständlichen
Gewissheit
entspräche,
gehalten
zu
werden.
Er
verweist
auf
Winnicott,
der
gezeigt
habe,
dass
der
Säugling
dies
allerdings
nicht
bemerke.
Er
erlebe
aber
mit
psychotischer
Vernichtungsangst
wenn
er
fallengelassen
werde
(Altmeyer
2001,
S.
621).
Altmeyer
stellt
weiter
fest:
„
Was
aus
der
externen
Beobachterperspektive
als
gekonnte
Interaktion
imponiert,
lässt
sich
emphatisch
als
ein
frühes
Selbsterleben
verstehen,
welches
vom
Objekt
weiß,
ohne
es
schon
denken
zu
können
“.
Altmeyer
nennt
dies
die
objektale
Kontaminierung
des
primären
Narzissmus
und
macht
deutlich,
dass
im
Narzissmus,
der
als
unbewusste
Erfahrung
des
Selbst
im
Spiegel
seiner
Umwelt
verstanden
wird,
die
Paradoxa
menschlicher
Identität
ihre
Quelle
haben
und
zu
begreifen
sind:
„[…]
uns
unabhängig
zu
fühlen
-
und
gleichzeitig
unserer
Abhängigkeit
Tribut
zu
zollen,
uns
als
einzigartig
zu
präsentieren
–
und
gleichzeitig
auf
Abhängigkeit
angewiesen
zu
sein,
allein
sein
zu
können
–
ohne
verloren
zugehen
“
(ebenda
S.
622).
Auf
diesem
Hintergrund
kann
ich
Henseler
nicht
folgen,
wenn
er
beim
Säugling
eine
quasi
feindliche
Umwelt
postuliert,
die
die
Entwicklung
des
Ich
durch
Frustration
vorantreibt.
Er
beschreibt
die
Konfrontation
mit
der
Realität
als
„
Urverunsicherung
“,
die
nur
bedingt
ausgeglichen
werden
könne.
Die
Entwicklung
des
Ichs
knüpft
er
an
das
„
intensive
Bestreben
“,
sich
von
der
„
Urverunsicherung
“
zu
entfernen
und
sie
nie
wieder
zu
erleben.
Dafür
brauche
ein
Kind
lange
Zeit
das
Gefühl,
entgegen
der
Wahrnehmung
seiner
Realität
ein
grandioses
Wesen
zu
sein,
das
von
idealen
Personen
umgeben
ist
(Henseler
2000,
S.
75ff).
Auf
dem
Hintergrund
der
differierenden
Theorien
über
das
frühe
Selbsterleben
ist
der
Grandiositätsbegriff
allerdings
strapaziert
worden.
Mit
Recht
haben
Dornes
und
Wolf
darauf
hingewiesen,
dass
ein
Säugling
zur
Fantasie
von
eigener
Grandiosität
gar
nicht
fähig
ist, solange seine Symbolisierungsfähigkeit noch nicht ausgebildet ist.
Meine
Schlussfolgerung
aus
der
Kontroverse
ist,
dass
das
Bestreben,
sich
und
seine
Bezugspersonen
als
grandios
zu
erleben,
als
ein
in
der
Entwicklung
später
erscheinender
Bewältigungsmechanismus
der
„Unzulänglichkeit“
der
primären
Bezugsperson
aufgefasst
werden
muss.
Sich
grandios
zu
erleben,
stellt
somit
eine
retrospektive
Zuschreibung
mit
umgekehrtem
Vorzeichen
für
disponierende
„
Erinnerungen
“
an
Verletzungen
und
Enttäuschungen
bzw.
an
die
psychotische
Vernichtungsangst
(Winnicott)
dar.
In
diesem
Bewältigungsmechanismus
erkenne
ich
dann
den
Hintergrund
für
die
extreme
Angewiesenheit
auf
Selbstobjekte.
Und
hier
findet
sich
dann
eine
der
möglichen
Ursachen
für
die
Destruktivität,
die
ich
untersuchen
will.
Diese
Angewiesenheit
drückt
sich
eventuell
im
Streben
nach
außergewöhnlicher
narzisstischer
Zuschreibung
oder
außergewöhnlichem
Wirkerleben
aus,
wie
es
sich
z.B.
durch
die
Anwerbung
zum
„
auserwählten
Gotteskrieger
“
in
einer
Gruppe
fundamentalistisch
religiöser
Orientierung
oder
durch
Waffenbesitz
befriedigen lässt.
[...]
1
]
Ich verwende in Anlehnung an Dahls (2001) und Henselers (1983) Ausarbeitungen den
Begriff
Narzissmus
bzw.
narzisstisch
zur
Kennzeichnung
verschiedener
Zustände
des
Selbstwertgefühls
und
der
affektiven
Einstellung
des
Menschen
zu
sich
selbst.
Die
Regulation
des Narzissmus beschreibt dann die Aufrechterhaltung des affektiven Gleichgewichts bezüglich der Gefühle von innerer Sicherheit, Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit.
Ende der Leseprobe aus 56 Seiten
Titel "Wäre sein Leib eine Kanone, er hätte sein Herz auf ihn geschossen." - Eine psychoanalytische Betrachtung des arabischen Selbstmordattentäters
Autor
Klaus Walter (Autor)
Jahr 2003
Seiten 56
Katalognummer V19307
ISBN (eBook) 9783638234603
ISBN (Buch) 9783638700368
Sprache Deutsch